Ein bisschen reden

erstellt von Manuel Reinhardt zuletzt verändert: 25.08.2016 21:55

Aislinn und Dr. Färber saßen schweigend in ihren Sesseln. Es war erst die zweite Stunde, aber es kam Aislinn schon wie ein Ritual vor. Sie begrüßten einander, setzten sich und schwiegen. Aislinn war nicht sicher, wie ihr das helfen sollte. Sie war sowieso skeptisch was diese ganze Therapie-Sache anging. Wenn nicht ihre Mutter und ihr Bruder wiederholt mit ihr geredet hätten - "auf sie eingeredet" dachte sie manchmal, aber das war nicht fair, sie hatten sie nicht bedrängt und sie meinten es schließlich nur gut - dann wäre sie gar nicht hier. Ein Freund von Patrick hatte gute Erfahrungen mit Frau Doktor Färber gemacht. Einfach zu irgendwem wäre sie wahrscheinlich nicht gegangen.

"Möchten Sie sagen, woran sie denken?" Dr. Färbers Stimme machte Aislinn bewusst, wie sehr sie in ihren Gedanken verloren gewesen war. Sie atmete kurz durch. Ein bisschen reden konnte vielleicht nicht schaden. Dazu war sie schließlich hier.

"Ich habe daran gedacht, dass meine Mutter und mein Bruder ... mir vorgeschlagen haben, zu Ihnen zu kommen."

Die Psychiaterin lächelte. "Das klingt, als wären die beiden sehr überzeugend gewesen."

"Kann man so sagen."

"Machen Ihre Mutter und Ihr Bruder Ihnen öfter solche Vorschläge?"

Aislinn überlegte kurz. "Nein, eigentlich nicht. Ich meine, sie interessieren sich schon dafür, was ich mache. Normalerweise lassen sie mich aber machen, und unterstützen mich wenn nötig."

Dr. Färber nickte. "Können Sie mit Ihrer Familie reden, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben?"

"Ja, schon..." Aislinn zögerte. Sie wollte nicht so recht über Gwendolin reden, so als wolle sie sie mit niemandem teilen. Kaum hatte sie es gedacht wurde ihr klar, dass das Unsinn war. "Am liebsten rede ich aber zur Zeit mit Gwendolin." sagte sie schließlich.

"Ist das eine Freundin?"

"Ja, genau." Aislinn wusste nicht, was sie noch über Gwendolin sagen sollte, aber Frau Dr. Färber war gnädig und schwieg nicht so lange wie sonst bevor sie die nächste Frage stellte.

"Kennen Sie sich schon länger?"

"Ja, schon ewig. Seit der Grundschule, oder noch länger. Wir hatten eine Weile keinen Kontakt, aber vor ein paar Wochen hat sie sich wieder gemeldet."

"Sie sagen, mit ihr reden Sie am liebsten. Warum denken Sie, ist das so?"

Aislinn überlegte. Gwendolin verstand sie einfach wie niemand sonst, wie nicht einmal Patrick. Sie sagte oft genau das, was Aislinn selbst gerade dachte. Und umgekehrt. Sie hörte ihr zu. Sie mochten die gleichen Dinge, die gleiche Musik, die gleichen Bücher und Filme. "Ich schätze, wir sind so etwas wie Seelenverwandte."

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