Mark I

erstellt von Sebastian Schuster zuletzt verändert: 09.11.2014 19:14

Kalt strich der Edelstahl über die Haut seiner Hand. Er erinnerte sich an die Trivia, die er bei der Analyse des Gebäudes gelesen hatte: Der Architekt hatte an der Galerie ein Geländer aus Glascarbon geplant. Doch das bayrische Gesetz für öffentlich zugängliche Gebäude schrieb eine Mindeststabilität für den Fallschutz an Gebäudefassaden vor, die durch Glascarbon knapp nicht erreicht werden konnte. Jetzt war die Galerie eigentlich keine Fassade, ihr gegenüber lag eine Glaswand, die vom Boden zur Decke reichte. Mehr als 50% der Glaspanele konnten komplett geöffnet werden. Dies schuf eine angenehme Atmosphäre bei großen Empfängen und bedingte, dass die Galerie nach bayrischem Gesetz auch nicht als "Gebäudeinneres" zählen durfte. Deswegen waren die einzelnen Glaspanele des Galeriegeländers nun von Metallstreben gerahmt, die wahrscheinlich gegen Panzerbeschuss bestehen würden. Wie so oft wurde die Vision des Architekten durch die Gesetzeslage ruiniert.
Es änderte nichts daran, wie Mark das Gebäude sah. Er war heute nicht als Architekturkritiker hier – auch wenn ihm die zwei Semester in Baustatik in seinem jetzigen Job hin und wieder gelegen kamen. Für seine üblichen Missionen war das Gebäude ein katastrophaler Ausgangspunkt. Die Galerie schwebte 5 Meter über einem offenen Raum. Die Glaswand gab dem Raum Größe und Licht, führte aber auch dazu, dass die Eingänge zu den Büros einfach von außen einzusehen waren. Das Geländer aus Glas nahm einem jede Hoffnung auf Deckung. Inzwischen war er im Büro der Zielperson angekommen. Höfflich und förmlich stellten sie sich einander vor. Mark wusste seit dem Briefing, dass sein Gegenüber Dr. Kandelier, Vorstand der RRZZAA Unternehmensgruppe sein würde. Wahrscheinlich kannte er sogar die genauen Pläne für das kommende Training zur Evaluierung Marks Einsatzstärke. Auf jeden Fall war er vollgestopft mit Mirkofonen und Kameras.. Dr. Kandelier stellte offiziell seinen Bewegungswunsch klar: „Ich habe einen Geschäftstermin in Riem. Es ist Zeit, das ich mich auf den Weg mache.“
Während Marks Gedächtnis alle möglichen Wege und Alternativrouten zur Garage durchspielte fragte er trocken: „Ist der Chauffeur informiert?“
Dr. Kandelier antwortete: „Er hat dem Termin im Kalender.“
Mark wollte hier nichts dem Zufall überlassen: „Bitte stellen sie sicher, dass das Fahrzeug fahrbereit ist.“
„Wenn sie drauf bestehen.“
Dr. Kandelier aktivierte eine für Mark unsichtbare Tastatur und begann Eingaben zu machen. Seine Hände bewegten sich in einer eingespiellten Choreografie durch die Luft, Mark nutzte die Zeit für einen Blick aus der Fensterwand, die gegenüber der Tür einen Blick auf den Innenhof des Gebäudekomplexes zuließ. Wie befürchtet waren die Fenster vierfach verglast, nahezu konturlos und der Boden bestand aus hartem Sichtasphalt. Ein Horroszenario.

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